Aktuelle Zählungen bestätigen einen Rückgang der Seehundzahlen im Wattenmeer
Die trilaterale Expertengruppe für Meeressäuger hat die Ergebnisse der jährlichen Seehundzählung von 2024 veröffentlicht. Diese bestätigen den bereits bestehenden Trend: Nach einem stetigen Wachstum von 2003-2012 und stagnierenden Zahlen bis 2020, ist der Seehundbestand heute niedriger als noch vor zehn Jahren. Die Seehunde, eine Ikone des Wattenmeeres, werden jedes Jahr im grenzüberschreitenden Weltnaturerbe Wattenmeer und auf der Insel Helgoland gezählt.
Im Juni 2024 wurden insgesamt 8.230 Seehundjungtiere gezählt, ein Rückgang von 12 % gegenüber 2023, als noch 9.334 Jungtiere registriert wurden. Dieser Trend bestätigte sich in den meisten Regionen: Schleswig-Holstein verzeichnete mit 19 % den stärksten Rückgang, während Dänemark eine Zunahme um 14 % verzeichnete. In den Niederlanden sank die Zahl der Jungtiere um 15 %, in Niedersachsen und Hamburg um 2 %. Auf Helgoland wurden erneut keine Jungtiere gezählt. Die niedrigeren Geburtenzahlen könnten mit einem Rückgang fortpflanzungsfähiger Weibchen, verursacht durch eine reduzierte Überlebensrate der Jungtiere in den letzten Jahren, zusammenhängen.
Im August, während des Fellwechsels, wurden insgesamt 23.772 Seehunde im Wattenmeer gezählt, ein leichter Anstieg von 5 % im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch liegt der Bestand weiterhin unter den Zählungen der Jahre 2012 bis 2020, was auf einen langfristigen Rückgang hindeutet. Schleswig-Holstein sowie Niedersachsen und Hamburg verzeichneten einen Zuwachs von 7 % bzw. 14 %, während die Bestände in Dänemark und den Niederlanden um 6 % bzw. 2 % zurückgingen. Auf Helgoland wurden 56 Seehunde gezählt, 22 % weniger als im Jahr 2023.
Damit markiert 2024 das vierte Jahr in Folge mit rückläufigen Seehundbeständen, verglichen mit der stabilen Population im Zeitraum 2012–2020. Mehrere Ursachen für den Rückgang werden derzeit diskutiert. Während Migration und Krankheiten als Hauptfaktoren ausgeschlossen werden konnten, könnten andere Belastungen wie Nahrungskonkurrent und menschliche Aktivitäten in der Nordsee, einem zentralen Nahrungsgebiet der Seehunde, eine Rolle spielen. Die langfristigen Auswirkungen dieser Faktoren sind noch unklar; weitere Forschung ist notwendig, um fundierte Maßnahmen zum Schutz der Seehundpopulation zu entwickeln.
„Wir brauchen fundierte Kenntnisse über das Überleben und Verhalten einzelner Seehunde, um die Mechanismen der Bestandsveränderungen besser zu verstehen und geeignete Schutzmaßnahmen zu erarbeiten“, erklärt Dr. Anders Galatius von der Universität Aarhus, Hauptautor des Berichts. „Jährliche Schwankungen sind normal, aber der langfristige Rückgang deutet auf tiefergehende ökologische Veränderungen hin, die dringend untersucht werden müssen, um die Seehunde im Wattenmeer nachhaltig zu schützen.“
Im Zuge dieser Entwicklungen organisierte das Gemeinsame Wattenmeersekretariat einen Workshop mit der Expertengruppe für Meeressäugetiere und Vertreter*innen der Seehundzentren im Wattenmeer. Diskutiert wurden die Möglichkeiten zur Nutzung von Daten rehabilitierter Seehunde, um Einblicke in die aktuellen Bestandsveränderungen zu erhalten. Als ersten Schritt entwickelten die Teilnehmenden einen Ansatz, um die Verfügbarkeit neuer Daten für zukünftige Analysen zu sichern.
Seehunde zählen zu den größten Meeresraubtieren im Wattenmeer. Im Rahmen des Monitorings der Trilateralen Wattenmeer-Zusammenarbeit koordiniert die trilaterale Expertengruppe für Meeressäugetiere die Zählungen und harmonisiert die Daten aus der gesamten Wattenmeerregion. Die Seehunde sind durch das Abkommen zur Erhaltung der Seehunde im Wattenmeer (Agreement on the Conservation of Seals in the Wadden Sea; WSSA) unter der Schirmherrschaft des UN-Übereinkommens zur Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten (CMS) trilateral geschützt.
Der Expertenbericht ist als Download hier verfügbar.